Verehrte Damen und Herren, Verehrte Geistliche, Verehrte Mitglieder des Landtages, Liebe Mitglieder der GCJZ, Liebe Freunde,
Ich möchte mich zunächst für Ihre großzügige Einladung bedanken, für die Gelegenheit, hier heute, sprechen zu dürfen. Vor allem aber dafür, dass sie so vielen jungen Stimmen heute ein Podium bieten! Auch gleich zu Beginn ein herzliches “Mazzel Tov” and die GCJZ, sie haben großes Vollbracht und ich danke Ihnen als Deutscher Jude, für Ihr konsequentes Zusammenführen, für alles Geleistete.
Prof. Brumlik, Micha, sagte gestern: “Dialog darf nicht nur Sache einer Generation sein” Nun, ich werde jetzt versuchen, die Sichtweise, das Engagement unserer Generation zu beschreiben. Hierfür möchte ich meine ganze eigene Geschichte mit Ihnen teilen, möchte genauer über die Etappen meines Engagements sprechen und schließlich unsere heutige Arbeit, unsere Fragestellungen in der European Union of Jewish Students präsentieren.
Mein voller Name ist Benjamin Meir Pinchas Fischer. Ich bin Europäer, ich bin Deutscher, ich bin Jude. Meine Namen deuten auf eine Familiengeschichte hin, die vielschichtig ist, die nicht geradelinieg verlaufen ist. Sie spiegeln diese, meine mehrdimensionale Identität wieder. Ich trage die Namen meiner beiden Großväter.
Geboren wurde ich in Hamburg, als Sohn von Esther und Bernhard Fischer. Sie, israelische Jüdin, mit tunesischen Wurzeln. Er, geborener Katholik, Deutscher, und bis heute Soldat in der Bundeswehr. Mein Vater war der erste Deutsche, dem mein Großvater mütterlicherseits nach dem zweiten Weltkrieg begegnet war. Der erste Deutsche, seitdem mein Großvater aus einem Zwangsarbeiterlager in Tunesien befreit wurde.
Deutscher, Nichtjude und Soldat. Meine Mutter wurde von Ihrer Familie verstoßen, die Ehe nicht anerkannt und es sollte Jahre dauern, lange, nachdem mein Vater zum Judentum konvertiert war, bis die Partnerschaft, bis wir als Kinder, voll akzeptiert wurden. Bin ich nun Deutscher, bin ich Israeli? Bin ich nicht vielleicht auch Araber? Bin ich Berliner oder Hamburger? Bin ich Links oder bin ich Rechts? Bin ich Jude? Und wenn ja, welcher Denomination gehöre ich an, bin ich Orthodox, Reform, Konservativ? Bin ich religiös oder nicht? Um G“ttes Willen, so viele Fragen!
In meinem Leben bot sich immer wieder die Gelegenheit einfache, eindimensionale Antworten auf all diese Fragen zu finden. Was ich als Widerspruch empfand, hätte ich so einfach glätten können. Ein kurzes “Ich bin…” und ein Narrativ hätte sich mir schon von selbst ergeben, wäre vorgeschrieben. Mit den Etappen des Lebens stellte man sich dann aber den “abers”, den Fragezeichen und plötzlich wurde Eindimensionalität zum unbefriedigenden Versuch, Fragen zu entgehen, zu glätten.Vielmehr störte es mich, wenn meine Antworten verkürzt wurden, wenn Fremdzuschreibungen mir die Möglichkeit nahmen eine eigene Antwort zu finden. Denn aus vermeintlichem Widerspruch, sollte sich inhaltliche Tiefe ergeben, wurde der Antrieb zum Verfassen des eigenen Narratives gewonnen.
Als Teil der dritten Generation, bin ich unter Freunden aufgewachsen, die ähnlich turbulente Familien- und Migrationsgeschichten teilen. Wir, die dritte Generation, stehen zwischen diesen multiplen Identitäten und es bietet sich nun die Gelegenheit, einen neuen Narrativ für uns und für den Dialog schreiben.
Als ich 2010 als Stipendiat in das Ernst Ludwig-Ehrlich Studienwerk
aufgenommen wurde, hielt ich mich für völlig aufgeklärt, für einen Pluralisten. So hatte ich es in meinem Aufnahmeantrag geschrieben, so schien man mich aufgenommen zu haben. Ich hatte viel über die verschiedenen Strömungen des Judentums gelernt und hatte hier und da an Programmen zum interreligiösen Dialog teilgenommen – ich war mir meiner eigenen Blauäugigkeit nicht Bewusst. Auch wenn ich zuvor schon in der jüdischen Gemeinde aktiv gewesen war, so konfrontierte mich das ELES plötzlich mit Fragen, denen ich bis dato ausgewichen war. Mit Vielschichtigkeit, mit Mehrdimensionalität.
Schon unser erster gemeinsamer Shabbat sollte mir vor Augen führen, dass es mehr bedarf um tatsächlich in den Dialog zu treten. Wie begeht man denn nun den Shabbat, wenn alle Denominationen vertreten sind? Wenn alle Betenden ebenso reflektiert und geschult, teils mit voller Inbrunst, für Ihr Judentum einstehen? Dialog beginnt also beim Dissenz. Eine wertvolle Lektion! Hier also z.B. bei der Frage wie der G“ttesdienst geführt werden darf. Intrareligiöser Dialog war bis dato auch völlig fremd. Ich blieb stur, setzte meinen Ritus durch.
Zwei Jahre später sollte ich einen Anruf von Johannes Frank, dem Geschäftsführer des ELES erhalten. „Benny, wir haben nächste Woche eine Seminar; unsere Rabbiner sind in ihren Gemeinden eingespannt; du machst das!“ Ich hatte als Jugendleiter hier und da mal G“ttesdienste mitgestaltet, nie aber selbst geleitet. Jetzt sollte ich plötzlich sicherstellen, dass Gebete angemessen durchgeführt werden können?
Ich? Der mit dem Studium aufgehört hatte, sich kosher zu ernähren? Der zuvor so gerne unsere rabbinische Studienleitung kritisiert hatte, sollte nun selbst gestalten; jeden zufrieden stellen. Und so führte ich meinen ersten G“ttesdienst im ELES-Format durch. Zwar bete ich im orthodoxen Ritus aber jeder sollte willkommen sein, also fand ich Lösungen, arbeitete mit unterschiedlichen Texten. Es wurde konstruktiv diskutiert. Das ELES schaffte es diesen deliberativen Ansatz auf den interreligiösen Dialog zu übertragen. Schaffte mit den „Dialogperspektiven“ – eine vorbildliche Plattform des Austauschs.
Im selben Jahr begann ich ein Projekt in der Synagoge in Hamburg. Schulkassen, Kirchen- und Besuchergruppen führte ich für 1,5 Stunden durch die Synagoge. Für die überwältigende Mehrheit war ich der erste Jude, den sie zu Gesicht bekamen und in nur 90 Minuten wollte ich von der 2700 Jahre alten Gemeinde in Baghdad, kosherer Ernährung, meiner Bar Mitzvah und dem Leben als Jude in Deutschland berichten. Auch hier wurde klar: Es geht nicht um MEIN Judentum, ich leite in Das Judentum ein, muss also ein breites, ein mehrdimensionales Bild präsentieren.
Ich vermisse diese Zeit auch heute noch. So wollte ich ein positives Bild des Judentums vermitteln, schrieb teils noch Wochen nach den Führungen Emails mit den Teilnehmern. Die 300-500 Besucher, allen Alters, zeigten mir aber auch, welches Bild hier vom Judentum vorherrscht. Schüler begegnen dem Judentum erstmalig im Geschichtsunterricht, sie sprechen über den Holocaust. Der Nahostkonflikt schafft ebenfalls eine eigene Kronnotation, eine Gleichsetzung der Synagoge mit der israelischen Botschaft ist gängig.
In meiner ersten Führung fragte mich die Lehrerin einer Klasse, „Ob Juden im Religionsunterricht lernen, den Holocaust als Druckmittel zu nutzen“. Ein Viertklässler erzählte mir, dass seine Mutter ihm verboten hatte, bei McDonalds zu essen – die Restaurantkette würde Juden gehören. Zwar blieb ich immer lieb und freundlich, versuchte zu erklären, aber es bildete sich ein Unbehagen.
In dieser Zeit begann ich, meinen politischen Aktivismus an der Universität und in der Partei neu zu verlagern. Ich fing an mich auch hier mit religionspolitischen Fragen auseinanderzusetzen.
Jene Gedanken führten mich also nach Brüssel:
1. Ich wollte wie im ELES, eine offene jüdische Identität stärken
2. Ich wollte wie in den Synagogenführungen, ein offenes Bild vom Judentum – den Dialog stärken
3. Ich wollte meinen politischen Überzeugungen, meinem Aktivismus vollzeitlich nachgehen
Wie sieht also unser Selbstverständnis bei EUJS aus:
Zunächst einmal sind wir Europäer. Wir bringen uns aktiv in das politische Geschen in Brüssel ein, wir ergreifen Position. So formulierten wir mit meiner ersten Kampagne eine klare Stellung in der Flüchtlingspolitik, wir riefen jüdische Studierende in ganze Europa dazu auf, Hilfe zu leisten. Vor zwei Wochen verfassten wir einen Brief an Herrn Juncker, um für Schengen zu werben. Als Organisation sind wir in allen europäischen Institutionen, der OSCE und dem UN Menschenrechtsrat akkreditiert, können also Studierende dazu empowern, hier das Wort zu ergreifen. Treten hier regelmäig für Menschenrechte, für Europäische Werte ein. Möchten wir die Gesellschaft für Juden verbessern, so müssen wir die Gesellschaft als Ganzes verbessern. Daher arbeiten wir etwa mit der Roma- und mit der armenischen Community zusammen. Dies tun wir aus unserem jüdischen Selbstverständis heraus. So verstehen wir G“ttes Willen eben auch.
Wir sind Studierende. Wir verleihen den 160.000 paneuropäischen jüdischen Studierende und jungen Arbeitstätigen zwischen 18-35 eine Stimme. Und dies ist notwendig, da unabhängig von dem Gedanken des “Empowerments” auch inhaltlich Divergenzen zu den etablierten jüdischen Vertretungen der Gemeinden bestehen kann. So zum Beispiel in der Flüchtlingsdebatte. Auch stellen wir sicher, dass im European Youth Forum und auf anderen jungen Podien eine jüdische Stimme berücksichtigt wird.
Wir sind Juden. Als Organisation verwendet EUJS die breiteste Definition dessen, wer als Jude anerkannt wird. Behalten wir im Hinterkopf, dass unabhängig von Denomination viele junge Juden eine starke Verbindung zum Judentum verspüren, dabei jedoch ein säkulares Leben führen. Religion geht also im Falle des Judentums weit über die Teilnahme am G”ttesdienst hinaus, Identität ist mehrdimensional.Wir machen uns als religiöse Institution nicht nur für Religionsfreiheit stark, sondern auch für die Rechte unserer Studierenden.
Beispielsweise gewinnt die BDS-Bewegung, an Kraft in ganz Europa. Abseits von politisch stark fragwürdigen, aber teils zulässigen Dogmen, kommt es durch diese Bewegung wiederholt zu gezielten Übergriffen auf jüdische Studierende. Wir begrüßen daher die jüngst erfolgte Distanzierung der GCJZ und hoffen auf eine fortbestehende entpolisierte Dialogführung. Und es sei klar gesagt, zur Brüderlichkeit, zur Schwesterlichkeit gehört Kritik, aber eben Konstruktive.
Auch suchen wir aktiv den Dialog zu anderen Verbänden. So arbeiten wir dicht mit der Muslim Jewish Conference und der World Student Christian Federation zusammen. Erst letzten September haben wir ein Seminar in Kooperation organisiert und auch dieses Jahr hat diesbezüglich einiges zu bieten. Den Dialog zum Trialog zu machen, aber auch genauer auf die Eigenheiten des muslimisch-jüdischen Dialogs einzugehen, ist eine der großen Herausforderungen unserer Generation.
Unsere Arbeit, meine Arbeit folgt also dem Glauben, an eine bessere, eine inklusive Gesellschaft, an ein Europa, welches kollektiv auf die Herausforderungen unserer Zeit reagiert.
Als Europäer, als Deutscher, als Jude, als Demokrat folge ich dem Glauben, dass konstruktiver Dialog, Deliberation, das wichtigste Werkzeug hierfür darstellt. Sich dessen bewusst zu werden, dass trotz der Herausforderung der eigenen Gemeinschaft, auch andere Gemeinden – sogar die Gesellschaft als Ganzes – nicht aus den Augen verloren werden darf, aktiv angesprochen werden muss, ist der erste Schritt. Sich dann auf Augenhöhe zu begegnen, sich darin einig zu werden auch mal uneinig zu sein, ist das angestrebte Resultat. Und das betrifft interreligiösen und intrareligiösen Dialog im gleichen Maße, wie politische Debatten fernab jeder religiösen Konnotation. Das ist nicht einfach, es ist nicht schnell und es konterkariert die Polarisierung unserer Generation, aber es ist richtig. Diese Überzeugung treibt uns tagtäglich an, sie ist die Quintessenz dessen, was meine verschiedenen Identitäten vereint. Deshalb lehne ich eindimensionale Antworten jeder Art ab. So verstehen wir ihn, den Willen G“ttes.
Mein voller Name ist Benajmin Meir Pinchas Fischer. Meine beiden Großväter, deren Namen ich trage, sitzen lachend nebeneinander auf einem Familienfoto, das in Süddeutschand aufgenommen wurde. Sie zeigen die Grenzenlosigkeit der Kraft des Dialogs auf, weshalb mir diese Namen Zeit meines Lebens verbieten werden, verkürzte Antworten zu finden. Sie werden Antrieb meiner ausgestreckten Hand sein, sie werden mir als Beispiel des Dialogs dienen. Und welcher Rahmen sich hierfür auch finden lässt: Ich bin zuversichtlich, dass sich Nachwuchs finden wird.
Liebe Mitglieder der GCJZ, Lieber Micha Brumlik,, ich möchte mir nicht anmaßen, im Namen meiner ganzen Generation zu sprechen. Unsere Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden wird von den Studierenden, von meiner Generation, auch regelmäßig kritisiert und in Frage gestellt. Den Ansatz, beim Dissenz zu beginnen, in der eigenen Gemeinde wie auch zwischen den Gemeinden zu vermitteln, haben wir jedoch verinnerlicht.
Das ELES ist hierfür auf jüdischer Seite der Hort. Mit Blick auf die politische Entwicklung Europas, wird eine überparteiliche Form des Austauschs, wie der interreligiöse Dialog sie bietet, nur noch weiter an Wichtigkeit gewinnen. Und aus diesem Grund, danke ich Ihnen von ganzem Herzen für Ihr Engagement. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie seit über 20 Jahren untern diesem Gedanken vereinen.
Hier also die Versicherung: Wir sind am Ball!
Ich wünsche ihnen Frieden und Segen, Shalom Uvracha